Gedanken
Es ist spannend, wie eine Komposition in jedem Konzert neu entsteht, so als wenn man eine Geschichte erzählt, die immer wieder anders ausgeht und sich über die Jahre verändert. Das habe ich bei vielen Komponisten und Werken erlebt, so z.B. bei der Musik Béla Bartóks:
Durch meine erste Geigenlehrerin Dorothea Horvath wurde ich schon früh an die ungarische Musik herangeführt. Zum Programm meines ersten Jugend Musiziert Wettbewerbes gehörte „Abend am Fjord" von István Szelényi. Von Béla Bartók lernte ich bald die Rumänischen Volkstänze und die Violin-Duos kennen. Besonders gern spielte ich auch die ungarischen Tänze in der Bearbeitung von Joseph Joachim und auf dem Klavier den Mikrokosmos von Bartók.
Mit 12 Jahren fuhr ich zum ersten Mal zu einem Kurs nach Ungarn, in den kleinen Ort Nyirbátor, zusammen mit meiner Lehrerin Midori Goto aus Münster. Ich spielte dort das Presto aus Bartóks Solosonate, und mein Gastvater sagte mir „Du bist wie der Wind über der Puszta". An diese weite Graslandschaft erinnern mich auch die verhallenden Echorufe inmitten einer wunderschönen Melodie aus dem dritten Satz der Solosonate. In Bartóks Musik gibt es viele Naturbilder, das Summen von Insekten, Vogelrufe und raschelnde Blätter in der Nacht. Mit 14 spielte ich dann bei einem Wettbewerb Bartóks erste Rhapsodie. Zur Jury gehörte auch Denes Zsigmondy, der Béla Bartók noch persönlich kannte und mir viel von dessen Musik erzählte. Später studierte ich Bartóks Streichquartette und heute spiele ich besonders gerne auch sein zweites Violinkonzert. Vor allem fasziniert mich bei Bartók, wie er alles in seiner Musik verbindet: Er selbst sagte, er wolle „Bach, Beethoven und Debussy in einer Synthese vereinigen und für die Moderne lebendig machen". So vieles fließt in seine Musik mit ein, mathematische Strukturen, die ungarische Sprache mit der Betonung auf der ersten Silbe. Er verbindet alte Bauernlieder und traditionelle Volksinstrumente mit modernen Spieltechniken wie dem Bartók Pizzikato; er verwendet uralte Kirchentonarten, um die Tonalität auf seine ganz eigene Weise an ihre Grenzen zu führen.
Ich versuche diese Idee auch in Konzert-Programmen aufzugreifen, versuche, ein übergeordnetes Thema oder Verbindungen zwischen Werken zu finden. Zum Beispiel knüpft Bartóks Solosonate eng an die C-Dur Solosonate von Bach und mit dem ersten Satz Tempo di Ciaccona auch an die Ciaccona aus der d-Moll Partita an. Hindemith schreibt im letzten Satz seiner zweiten Solosonate Variationen über das Lied „Komm lieber Mai" von Mozart. Werke von Franck, Ysaÿe, Saint-Saëns und Debussy zeigen verschiedene Aspekte der französischen Klangsprache.
Ich habe in Deutschland, Österreich und den USA gewohnt und in vielen anderen Ländern Konzerte gespielt. Dabei habe ich erfahren, dass jede Kultur ihre ganz eigene Musik und ihren eigenen Zugang zu unterschiedlichen Werken hat. Besonders in Outreach Konzerten in Schulen, Museen und sozialen Einrichtungen habe ich gelernt, wie viel man durch die Musik von einem Land, einer Epoche vermitteln kann und davon, wie Menschen dort gelebt und gefühlt haben. Zu solchen Anlässen gebe ich gerne Gesprächskonzerte, in denen man in die Werke einführen, seine eigenen Ideen dazu erzählen und hinterher mit dem Publikum reden kann - und von da aus die Musik sprechen lassen kann. Darin liegt für mich die Kraft der Musik, dass sie Menschen aus ganz verschiedenen Zeiten und Ländern verbinden kann und Kunst, Literatur, Mathematik und vieles mehr zu einem Ganzen verknüpft.